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Spring doch    

von Andri Beyeler (CH)                         8+

Begründung der Jury

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Im Sportunterricht werden Mannschaften gewählt.

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„Sie könnte auch einteilen, die Lehrerin,“ – denkt Lena –„aber nein, sie muss natürlich wählen lassen.“ „Natürlich, ich hätte auch Gruppen einteilen können“ – denkt die Lehrerin – „aber zuweilen ist es gut, wenn sie sich selber organisieren, und es geht ja auch schneller…“ 

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Nach diesem Prinzip des Perspektivenwechsels erfahren wir mit „Spring doch“ ein Lehrstück in praktischer Empathie, indem wir uns im Moment ihres Auftritts in jede der beteiligten Figuren mit ihren jeweiligen Beweggründen und Gefühlslagen hineinversetzen.

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Lenas Mitschüler Tom z.B. äußert sich zum Wahl-Dilemma: „Mich stört mehr, wen sie wählen lässt, immer die Besten, nie uns Schlusslichter…" Und natürlich wird Lena als letzte gewählt. Plötzlich wird ihr klar, was zu tun ist: „Ich müsste einfach etwas können, das sonst niemand kann!“ Um einmal die Aufmerksamkeit der angesagten Kids zu erlangen, kündigt sie an, am Nachmittag vom Dreier zu springen! Und so nimmt das Drama seinen Lauf.

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Von hier an verfolgt der Autor konsequent Lenas Weg vom inneren Entschluss bis zu seiner Ausführung in einem kleinschrittigen Protokoll und nimmt uns mit auf eine spannende Verfolgungsjagd, während derer er jede Reaktion ihrer Mitmenschen auf Lenas Verhaltensweisen erlebbar macht, ohne dass es zwischen der Protagonistin und ihren Mitspielern zu nennenswerten Interaktionen kommt. Alle Figuren reden in Ich-Form. Ein Kaleidoskop von Zeugenaussagen lässt Lenas Busfahrt ins Schwimmbad und ihren Aufenthalt dort zu einem grandiosen Action-Drama werden.

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„Ich will bloß von diesem Dreier springen, sonst nichts, nur das!“ Genauso konzentrieret sich die Dramaturgie zwingend auf das Wesentliche, nämlich ernst zu nehmen, was das für ein ungeheuerlicher Beschluss für ein kleines Mädchen von 8 Jahren ist, und was für eine Wahnsinns-Anstrengung es kostet, ihn in die Tat umzusetzen: Unbemerkt und gegen die Mahnung des Vaters mit dem Badeanzug auf die Straße und an der Nachbarin vorbeizukommen, ohne Ticket in den Bus und vor den Augen der Busfahrerin und des Sitznachbarn der Fahrscheinkontrolle zu entgehen, das Loch im Zaun der Badeanstalt zu finden, den Riegel der Umkleidekabine aufzubekommen und vor den Augen der  halben Klasse Schritt für Schritt zum Dreier vorzudringen – die Ansicht des riesigen Turms von unten ist so gewaltig  und scheint so unüberwindlich wie die Angst. Sprosse für Sprosse erklimmen wir mit Lena die Leiter und uns klopft wie ihr das Herz bis zum Hals.

Und dann der erlösende Sprung und die beruhigende Einsicht, dass Lena doch schwimmen kann, zumindest bis zum Beckenrand…

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Andri Beyeler gelingt mit diesem Mutproben-Drama in 2 Sprachen (Switzerdütsch und Deutsch), unseren Blick darauf zu lenken, wie aus einem scheinbar belanglosen Alltags-Impuls eine verhängnisvolle Kette von sich gegenseitig bedingenden Ereignissen werden kann. Einfühlsam nimmt er Partei für seine junge Hauptfigur und begleitet sie achtsam auf ihrem Weg vom Start bis zum Ziel. 

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